Für mehr Menschen mit weniger Material bauen
Fachgespräch der Grünen Abgeordneten Gudula Achterberg brachte Wissenschaft und Praxis an einen Tisch
Lehm, Hanf oder Holz – wie bringt man nachhaltige, recyclingfähige Rohstoffe vom Nischendasein im großen Stil in den Bau-Kreislauf? Die Fragen, die sich an diese Überlegung knüpfen, sind vielfältig und differenziert, sie betreffen die Gewinnung von Rohstoffen über die Herstellung und Verarbeitung bis hin zu baurechtlichen – oder Versicherungsfragen. Zum Fachgespräch „Innovative und nachhaltige Baustoffe“ der Grünen Landtagsfraktion, zu dem die Heilbronner Landtagsabgeordnete Gudula Achterberg als Mitglied im Arbeitskreis und Ausschuss Landesentwicklung und Wohnen eingeladen hatte, trafen Wissenschaft und Praxis aufeinander und identifizierten Zukunftsaufgaben für das Bauen und Wohnen. Den großen Bogen spannte dabei Professor Werner Sobek mit der Formel: „Wir müssen für mehr Menschen mit weniger Material emissionsfrei bauen, wir müssen solargerecht bauen und wer Flächen versiegelt, muss auch entsiegeln.“ In der Schweiz sei dies in einem einzigen Paragrafen geregelt.
Die Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Forschung sowie aus der Bau-Praxis einte die Erkenntnis, dass die gegenwärtigen Krisen und globale Abhängigkeiten auch beim Bauen Entwicklungen beschleunigen können: „Nachhaltiges Bauen ist ein absoluter Klima-Booster“, nannte die Grünen-Abgeordnete Cindy Holmberg in ihrem Grußwort einen Aspekt, um von den rund 40 Prozent aller weltweiten CO2-Emissionen, die allein die Errichtung und der Betrieb von Gebäuden jährlich verursacht, herunterzukommen. Schon, was im Sanierungsbereich an Materialeinsparungen möglich sei, haben viele Bau-Beteiligte erkannt: „Die Musik spielt im Bestand“, drückte es Andrea Lindlohr aus, Staatssekretärin im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen.
Hauptredner Professor Werner Sobek hat als Vordenker für die gebaute Umwelt von morgen im Mai das Bundesverdienstkreuz erhalten. Der vielfach ausgezeichnete Ingenieur und Architekt pocht auf ehrliche Bilanzierung, wenn es um innovative und nachhaltige Baustoffe geht: Beim Verbrauch von Ressourcen, seien es Sand, Kies, fossile Energieträger oder Edelmetalle. Beim Umgang mit CO2-Kontingenten, wo er Bilanzierungstricks konstatierte. Oder bei der Energieeffizienz, der bebaute Quadratmeter als Bezugsgröße zugrunde liegen statt - aussagekräftiger - der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie.
Professor Dr. Philipp Leistner forscht am Fraunhofer Institut für Bauphysik unter anderem zu den Themen Schall und Wärme und verdeutlichte eine wichtige Grundlage beim Bauen: Die Disziplinen müssten ineinander greifen. Neben den richtigen Baustoffen und Bausystemen brauche es vor allem auch Menschen, die damit umgehen können: „Wenn alle Bauprodukte und -prozesse optimal zueinander passen, können auch weniger Fachkräfte mehr bauen.“
Für die Praxis bestätigte dies Dominik Buchta, Geschäftsführer der Stadtsiedlung Heilbronn. Neben Menschen, die sich z.B. im mehrgeschossigen Holz- oder Lehmbau mit der jeweiligen Bautechnik auskennen, blickte er auch auf regulatorische Vorgaben, die Kosten treiben. Als Bauherr für bezahlbaren Wohnraum forderte er von der Politik mehr Unterstützung bei der Übernahme von Verantwortung in den Baurechtsämtern und realistische Vorgaben, etwa beim Schallschutz oder der Wärmedämmung: Wer mit ökologischen Baustoffen arbeite, müsse bestimmte Regeln außer Kraft setzen dürfen, regte er an und traf auf breite Zustimmung. Architekt Florian Kaiser hat gerade ein Strohballenhaus fertiggestellt, das Nachahmer finden soll. Er befürwortete, für Leuchtturmprojekte einen Gebäudetypus E wie „experimentell“ einzuführen, für den vereinfachte Normen gelten, um Innovationen zu erleichtern.
Für die Nutzung sortenreiner, nachhaltiger Baustoffe plädierte Dr. Anne Braune von der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen und schlug als Genehmigungsparameter vor: Mein Gebäude soll pro Quadratmeter eine bestimmte Menge CO 2 pro Jahr ausstoßen. Sie sprach sich aus für den Blick „in den Beipackzettel“ bei Baustoffen und für das nutzungsdauerangepasste Bauen. Ebenso Bernd Digeser, der für die Naturstoffhaus GmbH die Einsatzbereiche von Hanf als Baumaterial beschrieb: Schließlich baue man nichts für die Ewigkeit, sondern immer für bestimmte Bedarfe.
Ein Beispiel für neuartige Baustoffe stellte Dr. Nazanin Saeidi vor, Professorin für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institute of Technologie (KIT): Auf Basis von Pilzen ist das prämierte Material New Wood als Pressspan-Ersatz oder zum Dämmen geeignet. Es wird zu 100 Prozent aus organischen Abfällen gewonnen und ist rezyklierbar.
„Wir haben heute viele Entwicklungen gesehen, die unsere Art zu bauen in Zukunft revolutionieren können und auch müssen. Altbekanntes und Bewährtes wird uns ebenfalls helfen, die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir stehen. Ich setzte mich dafür ein, dass wir Hürden für innovative Baustoffe abbauen und dass die Prozesse für deren Anwendung schneller werden. Dabei geht es auch darum, der um sich greifenden Vollkaskomentalität zu begegnen und Verantwortung zu übernehmen“, fasste MdL Gudula Achterberg als Ergebnis der Tagung zusammen.